Redebeitrag von Marek Lipp (Landessprecher Linksjugend [’solid] Brandenburg) auf der Kundgebung „Volle Solidarität voraus“ am 15.06.2020 in Potsdam. Es gilt das gesprochene Wort.
Im Moment entscheidet der Geburtsort einer Person maßgeblich darüber, wie frei oder unfrei sie sich auf der Welt bewegen darf.
Entscheidet sich beispielsweise eine Nigerianerin, ihr Leben in die Hand zu nehmen und sich auf die Suche nach besseren Lebensbedingungen in Europa zu machen, stößt sie spätestens am Mittelmeer auf eine militarisierte Grenzschutzorganisation. Die europäische Union sieht diese Frau lieber tot am Meeresgrund, als innerhalb der Grenzen der Wirtschaftsunion Europa!
Entscheidet sich demgegenüber eine Kanadierin (also eine Weiße) für die Einreise, gilt sie als „Einwanderin“ (nicht als Wirtschaftsflüchtling) und erhält ein Visum. Denn in der kapitalistischen Logik haben Menschen nur dann Wert, wenn sie die Wirtschaftskraft stärken und zu deren Wachstum beitragen. Menschen auf der Flucht sind dann nichts weiter, als politische Verhandlungsmasse. Und das nicht einmal eine besonders große:
Aus den Elendslagern wie Moria auf Lesbos hat die Bundesregierung gerade einmal 47 Kinder gerettet. Bedenken wir, dass der Weg auf eine der griechischen Inseln für diese Kinder bereits mit traumatisierenden, gewaltvollen Erfahrungen verbunden ist und die Bedingungen in den Camps unerträglich sind, sollte für die Regierungen die Notwendigkeit internationaler Solidarität doch unübersehbar sein.
Stattdessen feiern sie sich, wenigen Menschen die Tür nach Deutschland geöffnet zu haben, während der Rest weiter täglich um das Leben kämpfen muss. Das ist zynisch und unterlassene Hilfeleistung, wenn nicht gar Mord.
In Deutschland angekommen, entscheidet wiederum die Nationalität, ob hier geblieben werden darf oder nicht. „Hier bleiben“ bedeutet dabei, jahrelang in einer sogenannten Sammel- oder Gemeinschaftsunterkunft zu leben, dicht gedrängt, ohne Privatsphäre, ohne Perspektive.
Hinzu kommt die ständige Angst, die örtlichen Rassist*innen und Nazis könnten das Haus in Brand stecken, um ihre imaginäre Volksgemeinschaft vor der Auseinandersetzung mit dem als „anders“ gelabelten Menschen oder gar den armutserzeugenden Strukturen, die sie hergezwungen haben, zu beschützen.
Dabei sind alle Ländergrenzen das Resultat blutiger Kriege. Niemand wünscht sich diese Zeiten zurück. Aber die nationalstaatlichen Grenzen werden trotzdem als selbstverständlich und identitätsstiftend angenommen – und verteidigt.
Anstatt sich gegeneinander ausspielen zu lassen, sollten gemeinsam die Strukturen und Verhältnisse angegriffen werden, die Ungleichheiten ermöglichen. Dazu braucht es Solidarität, ob aus Parlamenten, auf gesetzlicher Ebene oder im Alltag einer jeden Person. Ob die rumänische Spargelstecherin oder der bulgarische Bauarbeiter, der geflohene Syrer oder die Nigerianerin an der Mittelmeerküste: ihre Situationen sind die Folge eines Wirtschaftssystems, das nicht auf die Bedarfe der Menschen, sondern auf den größtmöglichen Profit ausgerichtet ist!
Wir als Linksjugend [’solid] wollen die Kämpfe dagegen verbinden. Denn Solidarität rettet, Nationalismus hingegen tötet.
Die Wahnvorstellung einer nationalen Volksgemeinschaft ist dabei keine Marotte einzelner Nazigruppierungen. Es ist der deutsche Staat, der die Menschen abschiebt. Es ist der Staat, der sich angesichts kapitalistischer Zwänge für Inhumanität statt Solidarität entscheidet. Es ist der Staat, der sich durch Abschiebung der Zukunft der Betroffenen in den Weg stellt.
Wir als Linksjugend [’solid] fordern deshalb von der Landesregierung nicht nur, Menschen auf der Flucht aufzunehmen, wir fordern auch, dass sie die Abschiebungen einstellt und Abschiebeknäste auflöst.
Kein Mensch in Brandenburg soll gezwungen werden können, einen Ort zu verlassen, nur weil sie oder er in einem anderen Teil der Erde aufgewachsen ist! Kein Mensch soll mehr sein Leben im Abschiebeknast fristen! Kein Mensch soll mitten in der Nacht von der Polizei aus dem Bett gezerrt und in ein Flugzeug, zurück in die Folterlager von Libyen und Co, gesetzt werden!
No borders, no nations, stop deportations!